Schutz, Beute, Vernichtung - Zur Aktualität des Racketbegriffs

Datum: 
Freitag, 22. September 2017 - 19:30

Schutz, Beute, Vernichtung - Zur Aktualität des Racketbegriffs

Vorträge und Diskussion mit:

Kai Lindemann (Referent beim DGB Bundesvorstand, ehemaliger Redakteur des DGB-Magazins Gegenblende, wurde zum Thema "Politische Korruption" promoviert)

und

Thorsten Fuchshuber (Autor der Zeitschriften sans phrase, Jungle World und woxx.lu, wurde zum Thema "Rackettheorie von Max Horkheimer" promoviert)

Freitag, 22. September 2017, 19.30 Uhr

Probebühne (Alte Mensa / AStA-Café), Universitätsstr. 16a, 50937 Köln

Eine Veranstaltung der Georg-Weerth-Gesellschaft Köln

mit freundlicher Unterstützung des Studierendenausschusses der
Vollversammlung an der Humanwissenschaftlichen Fakultät der Universität
Köln (StAVV)

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Kai Lindemann: Die Politik des Privilegs

Mit dem Racketbegriff bezweckten Max Horkheimer und Theodor Adorno im
amerikanischen Exil eine Erweiterung des marxistischen Klassenbegriffs
in herrschaftstheoretischer Perspektive. Der Racketbegriff wurde in den
30er Jahren in der amerikanischen Korruptionsdebatte häufig verwendet,
zum Teil auch von Kapitalseite, um die Gewerkschaften im New Deal zu
diskreditieren. Adorno und Horkheimer übernahmen ihn statt der gängigen
Elitenbegriffe (wie Oligarchie etc.) aus unterschiedlichen Gründen: Er
impliziert die kapitalistische Beutegemeinschaft; er impliziert die
lückenlosen Übergänge vom Raub zum Tausch und damit Urformen der
Staatlichkeit (Schutz gegen Gehorsam); er impliziert die ideologische
Dimension der Verschwörung, der Heuchelei, des Untergrabens des
aufklärerischen Geistes und er macht die Selbstreferentialität
privilegierter Komplizenschaft deutlich.

Trotz ursprünglich anderer Absichten wurde der Racketbegriff von Adorno und
Horkheimer nie umfassend ausformuliert und ist überwiegend in unveröffentlichten
Texten, Vorarbeiten, Briefen und Notizen behandelt worden. Zugleich
haben sich elitentheoretische und kriminologische Ansätze unabhängig
von Horkheimer und Adorno der Racketmetapher angenommen. Viele
empirische Analysen zu Lateinamerika, Afrika, Asien und Russland haben
die Relevanz des Begriffs zur Analyse dominanter Gruppen in Staat und
Wirtschaft hervorgehoben. Die Occupy-Bewegung verwendete ihn und viele
neoliberale Ökonomieansätze lesen sich wie eine Blaupause der
Racket-Praxis. Die umfassende kritische, gesellschaftstheoretische
Dimension der Rackets wurde bisher aber nur von Horkheimer angesprochen.
Auf diesem lässt sich aufbauen, um die Gegenwartsfragen nach der
Dynamik der Racketherrschaft zu beantworten. Insbesondere kann so die
Abschottung und damit unsichere Lage der Eliten sowie ihre Praxis der
priviligierten Komplizenschaft erklärt werden. Zugleich rückt die
ideologische Dimension der „Großrackets“ im postpolitischen Zeitalter
des Marktextremismus und des „verlorenen Individuums“ in den Fokus.

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Thorsten Fuchshuber: Das "Racket" als Passepartout

Der Racket-Terminus suggeriert analytische Schärfe bereits dort, wo er
kaum mehr ist als ein Synonym für Elite, Bande oder Mafia. Doch Max
Horkheimer, der ihn aus dem US-amerikanischen Sprachgebrauch entlehnte,
hatte damit anderes im Sinn als soziologische Kategorisierung oder den
Beitrag zu einer Elitentheorie. Seine Intention war die Entfaltung des
„Rackets“ als eines Begriffs: Als solcher lässt es sich nicht mittels
einer bloßen Ansammlung von Merkmalen einholen, sondern nur, indem man
es als Moment innerhalb eines bestimmten gesellschaftlichen
Zusammenhangs begreift, wie er von Marx in den Kategorien der Kritik der
politischen Ökonomie dargestellt worden ist. Wird dieser Zusammenhang
aufgekündigt, geht die „historische wie gesellschaftliche Spezifk der
verschiedenen Formen“ verloren: „Racket erscheint nicht als ihr Begriff,
sondern als Passepartout.“ (G. Scheit) Als solches Passepartout wird
die Rede vom Racket zur Ideologie. Demgegenüber wird der Vortrag die
Racket-Theorie als Kritik der nachbürgerlichen Gesellschaft explizieren
und das Racket als formierendes Prinzip einer Gesellschaft der
Vermittlungslosigkeit diskutieren.