*Der Mord an Walter Lübcke*
*Der Mord an Walter Lübcke*
Nach dem Mord an Walter Lübcke hat sich nun bestätigt, was schon längst
vermutet wurde: Es war ein Nazi. Und es war auch nicht irgendein Nazi,
sondern der altbekannte und vorbestrafte Stephan Ernst, der 1993 bereits
einen Bombenanschlag auf eine Geflüchtetenunterkunft in
Hohenstein-Steckenroth verübte. Ein Jahr zuvor fügte er einem Mann mit
einem Messer lebensgefährliche Verletzungen zu und wurde dafür später
wegen versuchten Totschlags verurteilt. Zahlreiche weitere
Verurteilungen folgten.
Bis jetzt läuft alles so, wie wir es schon vom NSU kennen: Wochenlange
Ermittlungen im privaten Umfeld. Das ZDF-Morgenmagazin berichtet, es
gäbe zwar Beziehungen in die "rechtsextreme Szene", aber das Motiv sei
weiter unklar. Wir wären verwundert, wenn Behörden und Medien Stephan
Ernst jetzt nicht als verwirrten Einzeltäter darstellen würden.
Stephan Ernst aber wird dem verbotenen, seit 2017 wieder aktiven
rechtsterroristischen Netzwerk Combat 18 zugerechnet. "Combat 18" (C 18)
folgt wie der NSU dem Prinzip des führerlosen Widerstands. Sie
veröffentlichen Anleitungen zum Bombenbau und legen Todeslisten von
politischen Gegnern an. Zudem fand im Herbst 2017 eine Schießübung in
Tschechien statt unter Beteiligung von nordhessischen Neonazis mit
Combat18 Bezug.
Und seine Nazifreunde feiern ihn. Der Braunschweiger Neonazi Timo
Büllesbach zum Beispiel richtet auf Instagram "Grüße an den Bruder in
Haft" aus und kündigt an, der Tag sei nicht mehr fern, an dem "all´ die
hohen Herrn gehangen an die Latern´". Damit stimmt Büllesbach ein in den
Tenor des tobenden Nazimobs in den sozialen Netzwerken, die das
Mordopfer Lübcke verhöhnen und seine Hinrichtung feiern.
Die Erkenntnisse sind nicht neu: Nazis morden. Der NSU war nicht zu
dritt! Die Naziterrornetzwerke bestehen fort. Und ohne deren
Zerschlagung wird es kein Ende des Terrors geben.
*Eine fortlaufende Geschichte*
Als Halit Yozgat 2006 in seinem Internet-Café hingerichtet wurde, war
der Mitarbeiter des Verfassungsschutzes Andreas Temme live dabei.
Natürlich will er nichts gesehen und gehört haben. Anstatt aufzuklären,
welche Rolle Temme im NSU wirklich gespielt hat und was er in dem
Internet-Café wollte, wurde Temme in die Behörde des jetzt ermordeten
Walter Lübcke versetzt. Warum es keine Aufklärung gibt? Weil eine Krähe
der anderen kein Auge aushackt: Die NSU-Nebenanklageanwältin Seda
Başay-Yıldız und ihre Angehörigen haben Morddrohungen erhalten, die mit
NSU 2.0 unterschrieben wurden. Am Tag, nachdem die rechtsextremen
Umtriebe innerhalb der hessischen Polizei im Innenausschuss des Landtags
auf der Agenda standen, bekam Seda Basay-Yildiz wieder ein Fax. Abermals
war es unterschrieben mit „NSU 2.0“. Davor stand „Heil Hitler“. Wieder
wurde ihre zwei Jahre alte Tochter erwähnt, zudem nun auch ihre Eltern
und ihr Ehemann samt Drohungen, was man ihnen am liebsten antun will.
Die Anwältin rief die Polizei. Sie hoffte, wie sie sagt, dass es diesmal
gelingen würde, den Absender zu identifizieren. So schwer könne das doch
nicht sein. Das war am 20. Dezember. Aber bis jetzt ist unklar, wer das
Drohschreiben verfasste. Mittlerweile verdichten sich aus Sicht der
Ermittler die Anzeichen, dass es aus den Reihen der Polizei geschickt
worden sein könnte. Derzeit laufen Ermittlungen gegen ein Nazi-Netzwerk
innerhalb der hessischen Polizei. 38 Polizeibeamte sollen mittlerweile
unter Verdacht stehen.
Das Nazi-Problem ist massiv. Auch das wissen wir nicht erst seit heute.
Als am 9. Juni 2004 eine Nagelbombe auf der Keupstraße detonierte,
wurden die Opfer des Nagelbombenanschlags jahrelang zu den Täter*innen
gemacht. Der Anschlag wurde rassistisch gewendet, niemand wollte sehen,
was wirklich passiert. Der NSU-Prozess ist vorbei, viele Fragen bleiben
offen. Dennoch will der Verfassungsschutz in Hessen eine Akte über die
Rechtsterroristen bis ins Jahr 2134 unter Verschluss halten.
Das Attentat, das 2015 auf die Oberbürgermeisterin Henriette Reker
verübt wurde, stellt eine deutliche Parallele zu dem Mord an Lübcke dar.
Bezeichnend war, dass bei der Aufarbeitung des "Falles" lange der Fokus
auf der Darstellung eines verwirrten Einzeltäters lag, ohne die
Informationen zu berücksichtigen, dass Frank S. lange in
rechtsterroristischen Strukturen aktiv war und das Attentat eine
Reaktion auf Rekers moderate Äußerung zur Flüchtlingspolitik.
Erst kürzlich haben Nazis, die sich "Atomwaffendivision Deutschland"
nennen, in Köln-Mülheim Flugblätter mit rassistisch motivierten
Gewaltandrohungen gegen Anwohner*innen verteilt. Diese am 03.06.19
aufgetauchten Drohbriefe enthielten gezielt Morddrohungen gegen Muslime.
Währenddessen stellt sich die Stadt Köln unter dem Vorwand von
Bebauungsplänen gegen ein Mahnmal zum Gedenken an den
Nagelbombenanschlag in Köln Mülheim. Die Geschichte neonazistischer
Anschläge und Drohungen schreibt sich fort. Der Rassismus? Noch immer
der selbe! Der Staat? Mittendrin statt nur dabei!
*Ein Mord mit Ansage*
Lübcke wurde seit 2015 mit von rechten Hetzern bedroht. PI-News hatte
seine Wohnanschrift veröffentlicht. Auch Erika Steinbach twitterte gegen
den CDU-Politiker und ließ dem Nazimob, der schon damals zur Ermordung
Lübckes in ihren Kommentarspalten aufrief, freie Hand. Die Mordaufrufe
sind bis heute auf ihrer FB-Seite zu finden. Der extrem rechte Hetzer
Akif Pirincci zitierte Lübcke auf einer Rede bei Pegida in Dresden und
bedauerte an der Stelle, dass die KZs derzeit außer Betrieb seien. Die
AfD Dithmarschen aus Schleswig-Holsrtein schrieb: "Mord ??? ER wollte
nicht mit dem Fallschirm springen.".
Die Steinbachs, Pirinccis und AfDler bereiten durch ihre Hetze vor, was
andere in die Tat umsetzen, das hat der Mord an Lübcke erneut gezeigt.
Was muss noch passieren, bis ihr versteht, dass man mit Rechten nicht
kuscheln darf? Erst letztes Wochenende forderte Ex-Bundespräsident Gauck
mehr "Toleranz” gegenüber Rechten, der ehemalige VS-Chef Hans-Georg
Maaßen machte Werbung für eine Koalition von AfD und CDU.
Was muss eigentlich passieren bis in den etablierten Parteien verstanden
wird, dass jede "Toleranz” gegenüber Rechten den Weg bereitet für diesen
Terror? Was muss passieren, bis die Verstrickungen von Geheimdiensten,
Polizei und Naziterroristen aufgeklärt wird? Bis die Nazinetzwerke
zerschlagen werden? Der NSU hat dazu nicht zu geführt. Und auch der Mord
an Lübcke wird nicht dazu führen. Zu tief reichen die Verbindungen der
Geheimdienste ins Nazimillieu, zu viel steht für die Herrschenden auf
dem Spiel. 120 Jahre sollen die Akten zum NSU unter Verschluss bleiben.
Deswegen wird die Forderung nach Aufklärung und Zerschlagung dieser
Nazistrukturen zur Aufgabe all derer, die weitere neonazistische Morde
verhindern wollen. Es gilt, den rassistischen Hetzern auf der Straße,
dem rechten Mob im Internet und allen, die die neonazistische Gewalt in
Deutschland verharmlosen, entgegen zu treten. Es gilt den Opfern
neonazistischer Gewalt und ihren Angehörigen zuzuhören und sich
parteilich an ihre Seite zu stellen. Und es gilt die Erkenntnis, dass
man Nazis nicht wegkuscheln kann.
Es handelt sich in keinem Fall um verwirrte Einzeltäter, es ist derselbe
Rassismus, der im Rechtsruck ganz offen sein hässliches Gesicht zeigt.
Wir rufen alle dazu auf, die den neonazistischen Mord an Walter Lübcke
nicht unkommentiert hinnehmen wollen dazu auf, am Donnerstag um 18 Uhr
auf die Straße zu gehen! Lasst uns solidarisch mit alle denen sein, die
dem tagtäglichen Rassismus und neonazistischer Gewalt und Terror
ausgesetzt sind. Unsere Solidarität gegen Naziterror und Rechtsruck!