Juni 2021: VERSAMMLUNGSFREIHEIT ZU SCHÜTZEN

HELFEN SIE BITTE MIT, DIE VERSAMMLUNGSFREIHEIT ZU SCHÜTZEN
INTERVENIEREN SIE BEI IHREN LANDTAGSABGEORDNETEN, VERBREITEN SIE DIESE
INFORMATIONEN

In 2 Wochen, am 30. Juni 2021, besteht die Gefahr, dass der NRW
Versammlungsgesetzentwurf der CDU/FDP Landesregierung trotz erheblicher
Bedenken zahlreicher zivilgesellschaftlicher Proteste, von
Klimaaktivist:innen, Gewerschaften, bis hin zu kirchlichen Kreisen, im
Landtag durchgewunken wird.

Mit unserer wöchentlichen Informationsmail möchten wir in dieser
Woche den Blick auf die bevorstehende unverantwortliche Machtausweitung
der Polizei lenken, die auf Kosten der Versammlungsfreiheit geschieht.

Im Folgenden verschicken wir zwei Texte, die einerseits die lange Zeit
vernachlässigte Durchsetzung des Polizeiapparats durch
Rechtsextremisten dokumentieren, hier beispielhaft für NRW,
andererseits die nie dagewesenen Einschränkungen des bisherigen
Versammlungsrechts zugunsten ausgeweiteter Polizeieingriffe
problematisieren.

Wir haben in den letzten Wochen den Dialog mit Landtagsabgeordneten von
CDU und FDP gesucht und sind entsetzt darüber, wie oberflächlich und
uninformiert diese Verantwortlichen bezüglich dieser
Grundrechtsbeschneidungen uns geantwortet haben. Gerade eine FDP, die
sich als Hüterin der bürgerlichen Freiheiten darstellt, wirkt dabei
enorm doppelzüngig.

Viele Grüße
___________________________
Kein Veedel für Rassismus - Nippes
Bündnis Köln Nord gegen Rechts

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***

DIE POLIZEIFESTIGKEIT – EIN VERFASSUNGSRECHTLICHER GRUNDSATZ, DER
SICH AUS DER VERSAMMLUNGSFREIHEIT, ART. 8 ABS. 1 GG, ERGIBT…
…war einmal, wenn es nach dem Entwurf der Landesregierung NRW geht.

Quelle:
https://www.nrw-versammlungsgesetz-stoppen.de/2021/05/18/abschaffung-der...
[1]

Polizeifestigkeit? – Was ist das?

Die Versammlungsfreiheit als kollektive Meinungsfreiheit stellt sich
dar als „eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt, welches für
eine freiheitliche demokratische Staatsordnung konstituierend ist“
(BVerfG, Brokdorf-Beschluss, 1 BvR 233, 341/81). Daraus folgt der
Grundsatz: Bei einer Versammlung sind Maßnahmen nach dem Polizeigesetz
gesperrt. Die Polizei darf ihre Maßnahmen grundsätzlich nur auf das
Versammlungsgesetz stützen. Maßnahmen, die sie in anderen Fällen auf
das Polizeigesetz stützen könnte (wie z.B. Identitätsfeststellung,
Durchsuchung, Ingewahrsamnahme u.a.) sind nicht möglich. Sie darf also
beispielsweise (wenn die notwendigen sehr hohen Voraussetzungen
vorliegen) die Versammlung auflösen. Aber sie darf zum Beispiel nicht
alle Teilnehmer:innen einer Versammlung zur Identitätsfeststellung
anhalten; und auch keinen Platzverweis aussprechen oder sogar
Versammlungsteilnehmer:innen zur Durchsetzung dieses Platzverweises in
Gewahrsam nehmen.

Kurz gefasst, die Teilnahme an einer Versammlung schützt
grundsätzlich gegen polizeirechtliche Maßnahmen. So soll vermieden
werden, dass die Polizei aus Gefahrenabwehrzwecken die Versammlung oder
Versammlungsteilnehmer:innen behindert.

VON DER AUSNAHME ZUR NORMALITÄT?

“Grundsätzlich“ heißt, dass es Ausnahmen gibt. Und ja: Die gibt
es auch bisher bereits. Zum Beispiel kann zur Abwehr einiger Gefahren,
die nicht von Teilnehmenden ausgehen, auch in einer Versammlung
polizeirechtlich vorgegangen werden. Und bei Verdacht auf eine begangene
Straftat darf auch jetzt schon die Identität von
Versammlungsteilnehmer:innen festgestellt werden. Aber: Eben nur in
Ausnahmefällen beziehungsweise zur Strafverfolgung! Und immer nur dann,
wenn die besondere Bedeutung der Versammlungsfreiheit hierbei
berücksichtigt wird.

Wie ein Grundsatz aufgehoben wird zeigt der Gesetzentwurf der
Landesregierung. Hierin zeigt sich, wie viel – oder besser: wie wenig
– die Versammlungsfreiheit der Landesregierung bedeutet. Geht es nach
diesem Entwurf, dann wird die neue Normalität so aussehen:

„Soweit dieses Gesetz die Abwehr von Gefahren gegenüber einzelnen
Teilnehmerinnen und Teilnehmern nicht regelt, sind Maßnahmen gegen sie
nach dem Polizeigesetz des Landes Nordrhein-Westfalen […] zulässig,
wenn von ihnen nach den zum Zeitpunkt der Maßnahme erkennbaren
Umständen vor oder bei der Durchführung der Versammlung oder im
Anschluss an sie eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche
Sicherheit oder Ordnung ausgeht.“ (§ 9 des Entwurfs).

Und in der Begründung heißt es: „Der zweifellos hohe Rang der
Versammlungsfreiheit kann in der Abwägung mit anderen hochrangigen
Schutzgütern nicht dazu führen, dass sich die Versammlungsfreiheit in
jedem Falle ‚durchsetzt‘.“

Der Schutz der Versammlung vor polizeilichen Eingriffen wird dadurch
aufgehoben. Die Versammlungsfreiheit wird dem Polizeigesetz
untergeordnet. Damit wird die Versammlungsfreiheit als /Abwehrrecht/
gegenüber dem Staat, also als Freiheit /vor/ staatlichem Eingreifen
aufgehoben. Stattdessen wird staatliches Eingreifen der Polizei gegen
Versammlungsteilnehmer:innen gewollt und ermöglicht. Der
Verfassungsgrundsatz der Polizeifestigkeit wird einfach aufgelöst, die
Versammlungsfreiheit der Bürger:innen dem polizeilichen Machtanspruch
untergeordnet.

UNEINGESCHRÄNKTE DEFINITIONSMACHT BEI DER POLIZEI

Natürlich kann man einwenden: Das gilt doch nur bei erkennbaren
Umständen einer „unmittelbaren Gefahr für die öffentliche
Sicherheit oder Ordnung“ vor oder bei der Durchführung der
Versammlung oder im Anschluss an diese. Trotzdem muss klar sein: Die
Entscheidung über die Frage, ob eine solche Gefahr gegeben ist, trifft
die Polizei. Die Definitionsmacht haben die staatlichen Organe. Somit
stehen Bürger:innen in der jeweiligen Situation ohnmächtig vor der
aktuell getroffenen Entscheidung von Exekutivbehörden. Diese
entscheidet, führt aus, setzt durch – und im Nachhinein die
Rechtswidrigkeit feststellen zu lassen, birgt Unsicherheiten, kostet
Geld und – vor allem – hilft in der konkreten Situation überhaupt
nicht.

Den Grundsatz der Polizeifestigkeit aufzuheben, öffnet für
willkürliche Maßnahmen der Polizei vor Ort Tür und Tor. Die geplante
Vorschrift des § 9 VersGE bildet künftig eine Rechtsgrundlage für
rücksichtslose Eingriffe in die Versammlungsfreiheit. Damit wird das
Versammlungsrecht tiefgreifend geändert: Bislang durften
Versammlungsteilnehmer:innen nur ausnahmsweise von der Polizei als
Störer:innen behandelt werden. Alle Bürger:innen waren unter dem Dach
der Versammlung vor einfach-polizeilichen Maßnahmen geschützt. Jetzt
bietet eine Versammlung keinen Schutz mehr. Die Polizei kann genau so
gegen sie vorgehen wie gegen jede:n andere:n Bürger:in. Und so steht zu
befürchten, dass das, was unter der Ägide der Polizeifestigkeit noch
Versammlungen waren, nach dem Versammlungsgesetz nur noch lästige
Ansammlungen von Störer:innen sind.

***

RECHTE POLIZEI-CHATS: SECHS KOMMISSARANWÄRTER ENTLASSEN

Quelle: dpa /Süddeutsche Zeitung, 11. März 2021, 17:23 Uhr,
Aktualisiert am 11. März 2021, 17:29 Uhr

Düsseldorf (dpa/lnw) - Im Zuge des Skandals um rechtsextreme
Polizisten-Chats sind in Nordrhein-Westfalen bereits sechs
Kommissaranwärter entlassen worden. Es würden noch eine Reihe weiterer
Verfahren gegen Polizeibeamte geführt mit dem Ziel, sie aus dem Dienst
zu entfernen, sagte der Sonderbeauftragte im Kampf gegen
Rechtsextremismus bei der Polizei, Uwe Reichel-Offermann, am Donnerstag
in Düsseldorf. Er stellte im Landtag das Lagebild in der Sache vor, das
den Zeitraum von 2017 bis 2020 umfasst.

Demnach sind Männer sowie der Wach- und Wechseldienst von den
Verdachtsfällen überproportional betroffen. 110 von 186 ausgewerteten
Fällen konzentrieren sich auf die Polizeipräsidien in Essen (50),
Köln (21), Aachen (25) und Dortmund (14).

Die meisten Fälle seien als Rassismus (125), NS-Verherrlichung (95),
Antisemitismus (66) und Gewaltverherrlichung (62) zu werten. Bei den
arbeitsrechtlichen Verfahren gegen Nicht-Beamte seien drei Abmahnungen
ausgesprochen worden und zwei Kündigungen.

Es seien vier Mitarbeiter von NRW-Sicherheitsbehörden mit Kontakten zu
rechtsextremen Organisationen und einer als Mitglied einer
rechtsextremen Gruppe entdeckt worden. NRW-Innenminister Herbert Reul
(CDU) sagte, die Zahl habe sich inzwischen auf 251 Beschäftigte von
NRW-Sicherheitsbehörden erhöht, die unter Verdacht geraten seien.

Reul räumte ein, dass die Überprüfung von 12 575 Rufnummern in
diesem Zusammenhang auch in seinem Haus rechtlich umstritten gewesen
sei. Man sei aber letztlich zu der Einschätzung gekommen, dass dies
zulässig gewesen sei. Dennoch habe man alle beteiligten Behörden noch
einmal darauf hingewiesen, die Daten nach erfolgter Überprüfung zu
löschen.

Es sei nur gefragt worden, ob die Rufnummern, die als Kontakte in
beschlagnahmten Polizisten-Handys festgestellt wurden, im Zusammenhang
mit rechtsextrem motivierter Kriminalität aufgefallen seien.
Das Innenministerium widersprach der SPD-Opposition, es habe sich um
eine «typische Rasterfahndung» gehandelt. Die Überprüfung habe 26
Treffer ergeben. Neun Verbindungen seien Personen der rechtsradikalen
Essener Gruppe «Steeler Jungs» zuzurechnen, drei der Hooligan-Szene
und eine der rechten Szene in Dortmund.

Die SPD-Fraktion kündigte an, eine Sondersitzung des Innenausschusses
zu dem Thema zu beantragen. «Leider haben wir den bereits
fertiggestellten schriftlichen Bericht zu den Vorwürfen der besonders
betroffenen Essener Polizei noch nicht erhalten. Eine abschließende
Bewertung dieses Sachverhalts war deshalb heute nicht möglich»,
begründeten die Sozialdemokraten ihren Schritt.

Bei NRW-Polizisten waren in den vergangenen Monaten zahlreiche Hinweise
auf eine rechtsextreme Gesinnung entdeckt worden. Auf mehreren
beschlagnahmten Datenspeichern war das verbotene Horst-Wessel-Lied
gefunden worden. Dabei handelt es sich um das Kampflied der SA und die
spätere Parteihymne der NSDAP.

Ein Beamter soll Fotos von Weihnachtsbaum-Kugeln mit SS-Runen und
«Sieg Heil»-Aufschrift gepostet haben. Bei einem anderen Beamten waren
Fotos mit einem Hakenkreuz entdeckt worden, das aus Dienstmunition
gelegt worden war.

Ein Polizist habe sich in Uniform auf zwei Streifenwagen stehend dabei
fotografieren lassen, wie er den Hitler-Gruß zeigte. Es waren auch
Musikdateien von indizierten rechtsradikalen Bands entdeckt worden. Zum
Christchurch-Anschlag, bei dem ein Rechtsterrorist in Neuseeland 51
Menschen tötete, hieß es: «Zu viele Fehlschüsse.»

Links:
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[1]
https://www.nrw-versammlungsgesetz-stoppen.de/2021/05/18/abschaffung-der...