Prozeß wg, Schwarzfahren / aachen

Datum: 
Mittwoch, 29. Juni 2022 - 10:00
Ort: 
Landgericht Aachen

PM: Hoher Aufwand - Justiz überlastet sich selbst: 2. Verhandlungstag im Strafprozess in Aachen (Landgericht) wegen demonstrativen Schwarzfahrens am 29.6.

Schwarzfahren – Landgericht Aachen macht 2. Verhandlungstag!

Während Richterbund und fast alle Parteien die Abschaffung der
Strafbarkeit fordern und Tausende wegen der Lappalie im Gefängnis
sitzen, will die Staatsanwaltschaft sogar höhere Strafen!
Zweiter Verhandlungstag am Mittwoch 26.6., 10 Uhr in Aachen (Landgericht)

Wir informierten Sie über den Strafprozess gegen einen
Aktionsschwarzfahrer (Fahren ohne Ticket, aber mit Kennzeichnung und
Demonstration pro Nulltarif). Dieser begann am 24.6. am Landgericht
Aachen, kam aber nicht zum Ende. Das Gericht versagte dem Angeklagten
und der Verteidigung das öffentliche Vortragen ihrer Beweisanträge und
verhängte absurde Sicherheitskontrollen. Offenbar soll die erneute
Verurteilung möglichst unbemerkt über die Bühne gehen.

Wir laden Sie zu der Fortsetzungsveranstaltung ein. Unsere inhaltlichen
Angaben aus der ersten Pressemitteilung bleiben bestehen, deshalb fügen
wir sie unten erneut an.

Der zweite Verhandlungstag findet am Mittwoch, den 29. Juni, um 10 Uhr
im Landgericht Aachen statt.
Der erste Prozesstag lief im Saal 1.018 - eine Umlegung wegen der
absurden Sicherheitsanordnungen. Ob er dort auch am 29.6. stattfindet,
muss vor Ort überprüft werden. Ursprünglich war Saal 1.010 vorgesehen.

Die soziale Ungerechtigkeit der Bestrafung des sogenannten
Schwarzfahrens ist durch etliche Berichte und Studien längst ausreichend
belegt. Die Bundesregierung plant daher eine Korrektur des § 265a im
Strafgesetzbuch. Immer lauter werden zudem die Forderungen, das
Ticketwesen ganz abzuschaffen und eine gleichberechtigte Mobilität per
Nulltarif zum Grundbedürfnis zu erklären. Doch in der Praxis hält die
Neigung vieler Gerichte, Menschen ohne Fahrschein abzuurteilen, weiter
an. Besonders absurd wird das, wenn selbst solche Fahrgäste, die in
Zügen für eine Abschaffung der Strafbarkeit und die Einführung des
Nulltarifs demonstrieren, bestraft werden sollen. Genau das machte das
Amtsgericht Düren, als es einen sogenannten Aktionsschwarzfahrer
verurteilte. Das sind Menschen, die in Bussen und Bahnen bewusst ohne
Ticket unterwegs sind, dieses auch offen zeigen und für den Nulltarif
sowie eine Verkehrswende demonstrieren. Obwohl nur das heimliche
Schwarzfahren strafbar ist, werden sie angeklagt – und oft sogar
verurteilt. In einem solchen Fall muss nun das Landgericht Aachen in
zweiter Instanz neu verhandeln.

Der Hintergrund

Gerichte und Staatsanwaltschaften stöhnen über die Arbeitsbelastung.
Immer wieder belegen Statistiken, dass vor allem Menschen mit geringem
Einkommen vor Gericht und in Gefängnissen landen. An kaum einem
Strafparagraphen lässt sich das besser belegen als an der sogenannten
„Erschleichung von Leistungen“, einem von den Nationalsozialisten im
Jahr 1935 geschaffenen Norm, die ein täuschendes Verhalten zwecks
finanziellem oder materiellem Vorteil unter Strafe stellt. Auch wenn
viele weitere Delikte hiervon erfasst werden – angewendet wird er fast
nur für das sogenannte Schwarzfahren, der Nutzung von Bus oder Bahn ohne
Ticket. Das geschieht sehr häufig. Schwarzfahren ist in den vielen
großen Städten das häufigste Strafdelikt. Ca. 7000 Menschen sitzen
durchschnittlich wegen dieses Delikts im Gefängnis – mit oft brutalen
Folgen wie dem Verlust des sozialen Umfelds, der Wohnung, der Arbeit.
Dabei ist schon die Rechtsgrundlage unklar. In der juristischen Fachwelt
bestehen erhebliche Zweifel, ob das Fahren ohne Ticket überhaupt eine
aktive Täuschung darstellt. Anders als die Jura-Wissenschaft haben
Gerichte das aber bejaht und dafür die Kunstfigur des „Anscheins der
Ordnungsmäßigkeit“ erfunden. Fahrgäste ohne Ticket würden sich gezielt
so verhalten, als hätten sie ein Ticket – in dem sie nichts tun. So
konstruierten Gerichte das aktive Nichtstun – ein Paradox, welches aber
typisch ist für den juristischen Blick auf gesellschaftliche Ereignisse.
Der Bundesgerichtshof und das Bundesverfassungsgericht haben diese
Rechtsprechung abgesegnet – und Gerichtssäle, Aktenordner und
Gefängnisse damit gefüllt. Mensch müsse die Ticketlosigkeit schon offen
zur Schau stellen, um nicht bestraft zu werden, stand in den Urteilen.

Genau das machen die Aktionsschwarzfahrer*innen. Sie betreten Busse und
Bahnen, machen mit Schildern, Flyern und auf andere Art darauf
aufmerksam, keine Fahrkarte zu besitzen. Vor allem aber werben sie für
die Streichung des Schwarzfahrparagraphen, die Einführung des Nulltarifs
und eine konsequente Verkehrswende. Von „Erschleichung einer Leistung“
kann bei ihnen keine Rede mehr sein. Doch auch diesmal werden die
Strafverfolgungsbehörden ihrer Rolle in einem auf wirtschaftlichen statt
sozialen Zielen ausgelegten Gesellschaftssystem gerecht. Dass eine
gesetzliche Grundlage für die Verurteilung von offensiv ohne Ticket
fahrenden Menschen fehlt, stört sie ebensowenig wie die Tatsache, dass
Obergerichte selbst festgelegt haben, dass nur ein unauffälliges
Verhalten strafbar sein kann. Mit viel Phantasie wurde die Heimlichkeit
selbst in das spektakuläre Aktionsschwarzfahren hineinprojiziert. So
auch im aktuellen Fall. Das Urteil des Amtsgerichts Düren benennt das
auffällige Verhalten des Angeklagten sogar eindeutig (Az. 117 Cs-507 Js
146/21-82/21):

Trotzdem hat es das Urteil ausgesprochen. Dagegen hat der Betroffene
Berufung eingelegt, weshalb es jetzt zur zweiten Instanz in Aachen kam,
die am Mittwoch sogar einen zweiten Verhandlungstag erlebt - und in dem
die Staatsanwaltschaft eine höhere Verurteilung als in der ersten
Instanz fordert mit der absurden Begründung, dass der Angeklagte nicht
einsieht, dass er strafbar gehandelt hat. Er hat schlicht Recht - die
Staatsanwaltschaft beugt das Recht!!!

Hinweise für die Presse:

* Der Angeklagte und die ihn unterstützende Person (als Verteidiger
vorgesehen) sind ab für Pressegespräche oder Interviews verfügbar
* Kontakt Angeklagter: thomas@biopilze.de und 015908120765
* Kontakt Verteidiger: Jörg Bergstedt, 06401-903283, unterwegs
01575-8461661, joerg@projektwerkstatt.de
* Informationsseiten mit den politischen Zielen des
Aktionsschwarzfahrens, Gesetzestexten, -kommentaren und Urteilen der
Vergangenheit: https://schwarzstrafen.siehe.website
* Ein aktuelles Interview mit dem ehemaligen BGH-Richter Thomas
Fischer dazu, der Autor des auch vom Gericht selbst benutzten
Standardkommentars zum StGB ist:
https://www.lto.de/recht/feuilleton/f/eine-frage-an-thomas-fischer-schwa...