Die Gefühlswelt des Antisemitismus

Datum: 
Donnerstag, 16. November 2023 - 19:30
Ort: 
Hörsaal G im Hörsaalgebäude - Universitätsstraße 35 - 50931 Köln
Kategorie: 
Veranstalter_in: 
Bündnis gegen Antisemitismus - BgA Köln

Eine Kritik antisemitischer „Gefühlstheorien“

Dass man die Funktionsweise und die Tragweite des Antisemitismus nicht verstehen kann, wenn man dessen Analyse allein auf die kognitiven Vorurteilsstrukturen beschränkt, ist in der Forschung inzwischen weitestgehend anerkannt. Insbesondere die gesellschaftstheoretische Reinterpretation der Psychoanalyse in der Kritischen Theorie hat diesbezüglich zentrale Erkenntnisse hervorgebracht.

Die psychoanalytische Perspektive auf den Gegenstand tendiert jedoch dazu, Gefühle vorschnell mit Affekt oder Trieb gleichzusetzen oder sich auf die Analyse besonders prägnanter Gefühle zu konzentrieren.
In dem Vortrag wird dagegen eine von philosophischen Emotionstheorien inspirierte Perspektive eingenommen. So wird es nicht primär um konkrete Einzelemotionen, noch um spezifische Situationen oder Personen gehen, auch nicht um die propagandistische oder massenpsychologische Wirkung von Gefühlen. Stattdessen werden ausgewählte Quellen daraufhin untersucht, welche „emotionstheoretischen“ Annahmen und Konzepte diesen selbst immanent sind und inwiefern sie zur Rechtfertigung des Antisemitismus dienen.

Richard Wagner beispielsweise spricht bereits 1850 in seinem Pamphlet über das Judenthum in der Musik explizit davon, seine antisemitischen Gefühle „rechtfertigen“ zu wollen und diskutiert deren Zustandekommen. Damit einher geht eine grundsätzliche Diskussion über das emotionale Selbst- und Weltverhältnis, die Frage, welche Rolle Gefühle im alltäglichen Leben und in der Kunst spielen. Es geht ihm nicht nur um konkrete Gefühle, die er gegenüber Jüdinnen und Juden hat. Stattdessen will er zeigen, welchen Einfluss “Juden“ auf die Gefühlswelt überhaupt haben und konstruiert Annahmen über den Unterschied jüdischer und nicht-jüdischer Gefühlswelten. Er entwirft so im Reden über seinen Antisemitismus ein eigenes Gefühlskonzept, das mit einem bestimmten Selbst- und Weltentwurf einhergeht.

Bei anderen Quellen muss man eine etwas größere Dechiffrierungsleistung erbringen, um das der Rede zugrundeliegende Gefühlskonzept herauszuarbeiten. Aber auch hier verbergen sich hinter den emotionalisierenden Aussagen, den besprochenen konkreten Gefühlen und Forderungen Vorstellungen über die Rolle, die Gestalt und das Entstehen von Gefühlen, Annahmen über das Verhältnis zum Gefühlsobjekt, über jenes von Emotion und Kognition, über die Möglichkeit „kollektiver Gefühle“ und den Einfluss von Gefühlen auf politische/ gesellschaftliche Realität.

Damit werden emotionstheoretische Knotenpunkte berührt, über die in nahezu jeder Emotionstheorie nachgedacht und über die tlw. höchst kontrovers diskutiert wird. Die Spezifik antisemitischer Gefühle liegt also nicht allein in der ideologischen und projektiv angeleiteten Objektwahl oder ihrem aversiven Charakter.
Antisemitische „Gefühlstheorien“ zu verstehen ist für Kritik und Bekämpfung des Antisemitismus relevant, weil die emotionale Erlebnisweise von Welt mit ihren Rationalisierungsmustern und Konzeptionalisierungsangeboten unmittelbar zusammenhängt. Was wir unter Gefühlen verstehen, beeinflusst, wie wir uns fühlen.

Gefühle sind also weder angeboren noch bloß individuell und so spielen gerade in sozialen Beziehungen und gesellschaftlichen Kontexten die bewussten oder unbewussten, expliziten wie impliziten „theoretischen“ Annahmen über Gefühle selbst eine Rolle; dies umso mehr, je erklärungsbedürftiger sie erscheinen. Denn Gefühle – auch antisemitische – unterliegen einem normativen Rechtfertigungsdruck. Selbst zur Zeit des Nationalsozialismus, in dem sich das „manichäische Paradies“ der Antisemiten zu realisieren schien, waren die antisemitischen Subjekte auf eine wechselseitige Bestätigung und Begründung ihrer Gefühle angewiesen – wie ideologisch diese auch immer gewesen sein mögen.

Johanna Bach hat Soziologie und Philosophie in Frankfurt am Main studiert und promoviert zu dem Thema „Die Gefühlswelt des Antisemitismus“ an der Universität Passau. Sie ist Promotionsstipendiatin der Rosa Luxemburg Stiftung und Mitglied des AK Antisemitismus der Deutschen Gesellschaft für Soziologie. Sie forscht und publiziert zu Antisemitismus, Rechtsextremismus und Verschwörungsideologien sowie zur
Moralphilosophie des Nationalsozialismus.

Vortrag von Johanna Bach im Rahmen der Aktionswochen gegen Antisemitismus

Veranstaltet vom Bündnis gegen Antisemitismus Köln, dem AStA der Universität zu Köln und der Deutsch-Israelischen Gesellschaft AG Köln

Hörsaal G, Hörsaalgebäude, Universitätsstraße 35, 50931 Köln