Postkolonial von rechts. Israel und die extreme Rechte in Deutschland nach 1945
Vortrag von Dr. Fabian Weber (Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg)
Angesichts des global gegen Israel aufflammenden Proteststurms, der bereits einsetzte vor dem auf die Hamas-Massaker des 7. Oktobers folgenden Waffengang „Eiserne Schwerter“ der israelischen Verteidigungsstreitkräfte, ist es angeraten, sich mit den ideologischen Hintergründen dieser Feindschaft auseinanderzusetzen. Dabei erscheint gerade der Blick auf den vermeintlichen ideologischen Antipoden, die extreme Rechte, hilfreich. Denn das antikolonial auffiebernde Ressentiment gegen Israel, als Symbol und Inbegriff des ›weißen Kolonialstaats‹, etablierte sich nicht minder in der Ideologieproduktion der extremen Rechten nach 1945. Dieser Kontext muss in die Auseinandersetzung mit diesem Topos einbezogen werden.
Neo-nationalsozialistischer Antisemitismus fusionierte mit geopolitischer Strategie, im Machtgeflecht des Kalten Kriegs einen Block ›dritter‹ Mächte jenseits und zwischen der Ost-West-Konfliktlinie zu formieren. Gegenüber Israel wurden verschiedene Positionen ausgelotet, die in dem Vortrag abgebildet und gewichtet werden, wobei sich eine Haltung des „kaltblütigen Abwartens“ durchsetzte, wie der Herausgeber der Zeitschrift „Nation Europa“ Arthur Ehrhardt 1967 die Parole ausgab. Diese Haltung eines radikalen Neutralismus extremer Rechter findet sich in verblüffend ähnlicher Weise im heutigen Rechtspopulismus.
Fabian Weber ist Historiker und forscht zur jüdischen Geschichte, zu Rechtsextremismus und Antisemitismus. Seine Dissertation erschien 2020 unter dem Titel „Projektionen auf den Zionismus. Nichtjüdische Wahrnehmungen des Zionismus im Deutschen Reich, 1897-1933“. Sein an der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg angesiedeltes Post Doc-Projekt hat die emotionsgeschichtliche Analyse der Wechselwirkung von Antisemitismus und Tierschutz zum Gegenstand. Fabian Weber war als Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Ludwig-Maximilians-Universität und der Universität der Bundeswehr München sowie am Institut für die Geschichte der deutschen Juden Hamburg beschäftigt. In Kürze erscheint ein Beitrag über „Armin Mohler, die Neue Rechte und der Antisemitismus 1950 bis 1995“ in den Vierteljahrsheften für Zeitgeschichte.
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Ringvorlesung: "Nie wieder" ist jetzt? Antisemitismus seit dem 7. Oktober
Ringvorlesung mit 9 Gastvorträgen; WiSe 24/25
Termin: Dienstag 18:00 - 19:30, Hörsaal H112 (IBW-Gebäude), Humanwissenschaftliche Fakultät, Herbert-Lewin-Str. 2; 50931 Köln
Der antisemitische Terrorangriff auf Israel am 07. Oktober 2023 hat nicht nur einen kaum beschreibbaren Schock in der israelischen Gesellschaft ausgelöst und eine (re)traumatisierende Wirkung entfaltet. Auch für Jüdinnen:Juden weltweit und für jüdische Communities in Deutschland stellen der Angriff und dessen Folgen eine Zäsur dar: Während jüdische Einrichtungen wie Synagogen in Deutschland schon lange durch Polizei und private Sicherheitsdienste geschützt werden müssen, verweisen der drastische Anstieg antisemitischer Vorfälle und die derzeitige Situation auf eine antisemitische Bedrohungslage neuer Qualität.
„Nie wieder ist jetzt!“ lautete in den Wochen und Monaten nach dem 07. Oktober auch die Parole für Solidaritätsveranstaltungen mit Jüdinnen:Juden. Doch anders als bei der Anti-AfD Protestwelle Anfang 2024 und den Massenmobilisierungen zu Black Lives Matter im Jahre 2020 blieben Massendemonstrationen oder größere Kundgebungen gegen Antisemitismus und in Solidarität mit Israel aus. Vielmehr waren es erst die israelischen Reaktionen auf den Angriff, d.h. der Gaza-Krieg und seine schlimmen Folgen mit mittlerweile mehreren zehntausend palästinensischen Todesopfern, die bundesweit zu anti-israelischen Demonstrationen führten. Bei den Protesten wurde das Massaker des 07. Oktobers oftmals relativiert, teilweise gar zu einem antikolonialen Widerstandsakt stilisiert, es wurden antisemitische Parolen skandiert und eine Täter-Opfer-Umkehr betrieben. Die mangelnde Solidarität und emotionale Kälte, mit denen Jüdinnen:Juden in Deutschland konfrontiert waren und sind, wird auch international beklagt. So schrieb die israelisch-französische Soziologin Eva Illouz über einen Bruch mit vielen Strömungen der internationalen politischen Linken:
„Ein großer Teil der Linken - also die Seite, die seit zwei Jahrhunderten Gleichheit, Freiheit und Menschenwürde verteidigt hat - begrüßte entweder die Nachrichten von den Massakern (‚Widerstand gegen einen Besatzer‘), oder sie hat sie mit intellektuellen Vernebelungsstrategien abgetan. Die Linke hat terrorisierte Juden in der ganzen Welt und in Israel schamlos im Stich gelassen. (…)
Hätte die Linke uns in unserer Trauer nicht wenigstens für einen Moment zur Seite stehen können, so wie es viele Araber weltweit und in Israel getan haben?
Einmal mehr fühlen sich die Juden sehr allein.“ [1]
Der Anstieg des Antisemitismus und die damit einhergehenden gesellschaftlichen Entwicklungen in der bundesdeutschen postmigrantischen, postnationalsozialistischen und postkolonialen Gesellschaft erfordern tiefergehende Analysen: Welche gesellschaftlichen Dynamiken liegen der neuen Qualität des Antisemitismus zugrunde? In welchem Verhältnis stehen Rassismus und Antisemitismus, Zionismus und Kolonialismus sowie Antisemitismus und Antizionismus? Welche Bedeutung haben der 07. Oktober und dessen Folgen für jüdische Communities in Deutschland? Wie sehen effektive Konzepte zur Bekämpfung des Antisemitismus aus? Welche Potentiale und Grenzen haben Aufklärung und Bildung? Diesen und weiteren Fragen wollen wir uns in einer Ringvorlesung aus interdisziplinärer Perspektive widmen.
Diese Ringvorlesung wird gefördert aus Landesmitteln NRW bzw. aus dem Fonds zur Bekämpfung von Antisemitismus und findet in Kooperation mit dem Bündnis gegen Antisemitismus Köln und dem AStA der Universität zu Köln statt.
[1] Illouz, Eva (2023): Wir, die Linken? Nicht mehr. In: Süddeutsche Zeitung (27. Oktober 2023). Online unter: https://archive.ph/BGITg
Team: Prof. Dr. Gudrun Hentges, Felix Kirchhof, Jasamin Mirgolbabaei